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Augsburger Allgemeine – Reise & Urlaub
, 29.11.2018 – Von Florian Sanktjohanser
Engl: « Skifahren ist Kniefahren »
Beim Tiefschneekurs des Südtiroler Bergführers Thomas Engl wird am Stubaier das Skifahren quasi neu gelernt.
Wie sich der Tiefschnee von der Piste unterscheidet.
Umstieg von der Piste ins Gelände
Skifahren abseits der Piste boomt seit Jahren. Aber selbst mit breiten Freeride-Brettern bleibt das Fahren im Gelände für viele Pistenfahrer knifflig.
Bei einem Tiefschneekurs lernen sie den Umstieg und erfahren Grundlagen zum komplexen Thema Lawinen.
„Girlanden fahren“ klingt hübsch – und fühlt sich albern, fast demütigend an. Schnurgerade quert Thomas Engl die Piste und drückt rhythmisch die Knie Richtung Hang.
Meint er das ernst? Sollen wir das Skifahren neu lernen? In gewisser Weise ja.
Obwohl jeder in diesem Kurs viele Jahre Erfahrung hat – aber eben nur auf der Piste.
Nun aber sollen wir auf dem Stubaier Gletscher in drei Tagen lernen, unplanierte Hänge kontrolliert hinabzukurven.
„Das Hauptproblem beim Umstieg von der Piste ins Gelände ist für viele, dass sie in Rücklage geraten“, sagt Engl.
„Damit habe selbst ich noch manchmal zu kämpfen.“
Dabei ist der 29-jährige Südtiroler Bergführer und damit diplomierter alpiner Alleskönner.
Aber auch für ihn gilt: Nur wenn man mittig auf dem Ski stehe, über dem Schwerpunkt, könne man ihn mühelos drehen.
Erste Schritte im Tiefschnee
Bis wir das erste Mal von der Piste in den Tiefschnee fahren. Nach zwei Schwüngen falle ich kopfüber. Ski suchen, weitermachen.
„Verliert nicht das Vertrauen, wenn die Skispitzen im Schnee verschwinden“, sagt Engl.
Überhaupt, sich zu trauen ist wichtig. Statt ängstlich nach einem Schwung die Schultern einzudrehen, sollen wir sie Richtung Tal geöffnet halten.
„Nur die Beine bewegen sich“, sagt Engl. „Skifahren ist Kniefahren.“
Überwältigende Aussicht
Am zweiten Tag lässt er uns von der Bergstation am Daunjoch mit geschulterten Skiern auf einen Grat stapfen.
Die Aussicht ist überwältigend: auf der einen Seite ein Gletschertal, auf der anderen weiße Gipfelketten, gekrönt vom Zuckerhütl, dem höchsten Gipfel der Stubaier Alpen.
Jauchzen, Gruppenfotos. Und dann Demut lernen: Im schweren Filzschnee scheint das Gelernte vergessen. Die Ski kreuzen sich, flattern, verkanten. Buckel hebeln aus, Mulden stauchen zusammen.
„Die Geschwindigkeit zu kontrollieren ist das A und O im Gelände“, sagt Engl.
Immer wieder üben wir Rhythmuswechsel: kurze Schwünge für steilere Abschnitte, längere Carving-Schwünge für flache Hänge.
Denn ein Sturz im Tiefschnee mag nicht so schmerzhaft sein wie auf harter Piste, kann aber lebensgefährlich sein.
Lawinenkunde
Am Abend folgt der weniger vergnügliche Teil: Lawinenkunde.
„Wenn man stürzt, belastet man den Hang mit bis zu dem Zehnfachen des Körpergewichts“, erklärt Engl.
Und kann so eine Lawine auslösen. Er erläutert Schwachschichten, Schneebretter und wie man einen Lawinenlagebericht liest.
Spätestens jetzt ist allen bewusst, wie komplex das Thema Lawinen ist.
Zum Glück gibt es ein paar Faustregeln: Bei Warnstufe 2 unter 40 Grad Hangneigung bleiben, bei Stufe 3 unter 35 Grad, bei Stufe 4 unter 30 Grad.
Alarmsignale und Ausrüstung
„Achtet auf die Alarmzeichen“, sagt Engl bei einer Liftfahrt.
„Seht ihr die Gangeln, kleine Dünen und Riffel? Sie zeigen Triebschnee an.“
Auch Risse in der Schneedecke, Wummgeräusche und spontane Lawinen sind Warnsignale.
Wer ein LVS-Gerät dabeihat, muss auch damit umgehen können.
Denn nach einer Lawine überleben 90 % der Verschütteten die erste Viertelstunde, danach sinkt die Quote rapide.
Und bis die Bergrettung kommt, dauert es meist 35 Minuten. Deshalb heißt es: üben, jeden Winter.
Mit der Kontrolle geht es bergauf
Danach wird wieder Ski gefahren. Und langsam läuft es besser.
Am dritten Tag platzt der Knoten – bei einer simplen Übung, dem Hockeystopp: ein Stück Schuss fahren, dann die Ski querstellen und abrupt bremsen.
Plötzlich fühlt man Kontrolle: keine ungewollte Beschleunigung mehr, keine Rücklage bei jedem Buckel.
Man versteht, warum Freerider vom Powdern schwärmen.
Skiwedeln im Walzertakt
Wie ein Spürhund führt uns Engl zu unzerfahrenen Hängen, unter Liftmasten, zwischen Felsen.
Ein weites Tal öffnet sich, ein steiler Hang. Sein Tipp:
„Denkt euch einen Wiener Walzer. Das ist der richtige Rhythmus.“
Und er wedelt voraus – wir hinterher.